24 h. wir bleiben wach
Die 24-Stunden-Performance zur prekären Lage von 24-Stunden-Betreuer*innen, Betreuten sowie An- und Zugehörigen, haben wir im Jahr 2021 konzipiert und umgesetzt. Ein ungewöhnliches Projekt für WortKlangWelt, weil wir für gewöhnlich nicht selbst veranstalten. Dennoch ein Highlight, das ganz unserem Verständnis von Kulturarbeit entspricht.
Prekär. Unverzichtbar
24-Stunden-Betreuer:innen arbeiten in Österreich unter prekären Bedingungen. Prekär ist auch die Lage jener Menschen, die diese Form der Unterstützung dringend brauchen. Betroffen sind außerdem die An- und Zugehörigen der Betreuten. Beteiligt an dem gesamten System sind noch viele andere Akteur:innen, die es prägen, gestalten, aushalten oder nutzen. Das Projekt „24 h. wir bleiben wach“ ist eine vielschichtige und vielstimmige, interaktive Performance, die in einem Raum (BRUX Freies Theater Innsbruck) 24 Stunden lang stattfindet und somit bewusst an die Grenzen der Belastbarkeit von Künstler:innen und Publikum geht. Der „Patient“, der hier einmalig 24 Stunden lang „betreut“ wird, ist kein Mensch, sondern das österreichische System der 24-Stunden-Betreuung.
Gemeinsam in Bereitschaft.
Kulturschaffende, Aktivist:innen, Wissenschaftler:innen, Praktiker:innen und das Publikum: Ein 24-Stunden-Einsatz
Das Projekt besteht aus mehreren Ebenen, die einander ergänzen, überlagern und beeinflussen.
- Durchgehend: Musizieren auf der Bühne (Improvisation)
- Ständig, aber in unregelmäßigen Abständen: Zuspielung von Ausschnitten aus Interviews mit „Beteiligten“
- Ständig: Reaktion der Musik auf diese Zuspielungen
- Impulse von „geladenen Gästen“, die sich zur Situation des „Patienten“ äußern und ebenfalls jederzeit auf das Unvorhersehbare (die zugespielten Originaltöne) reagieren müssen
- Während der gesamten 24 Stunden ist ein Kommen und Gehen des Publikums möglich und erwünscht (aufgrund der Pandemie ist die Zahl der Besucher:innen beschränkt, Anmeldung auf dieser Seite ganz oben)
Das Projekt im Detail
Die Mission
24 Stunden lang kümmern wir uns um den Patienten. Er ist ein komplizierter Patient. Wir sind jederzeit bereit, ihm unsere Aufmerksamkeit zu widmen. Auch wenn wir müde und erschöpft sind, bleiben wir in Bereitschaft. Unsere Ruhezeiten unterbrechen wir, wenn der Patient uns braucht.
Der allegorische Patient
Die häusliche Versorgung von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen in Österreich – das österreichische System der 24-Stunden-Betreuung.
Die Problemlage
Der Patient ist unberechenbar. Das macht seine Betreuung schwierig. Lange Zeit verhält er sich relativ ruhig. Die Lage ist aber instabil, man muss jederzeit mit einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes rechnen.
Es gibt vielfältige Faktoren, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen. Vor einiger Zeit wurde eines der ohnehin schwachen Beine, auf denen der Patient steht, verkürzt: die Familienbeihilfe für außerhalb von Österreich lebende Kinder von 24-Stunden-Betreuer:innen. 2020 trat ein lebensbedrohlicher Faktor auf: Grenzschließungen. Der Kollaps schien plötzlich nicht mehr ausgeschlossen. Das Überleben konnte vorerst gesichert werden. Nachhaltige Maßnahmen zur Stabilisierung oder gar Heilung wurden jedoch bisher nicht ergriffen.
Die Beteiligten
- Pflege- und betreuungsbedürftige Menschen, die 24-Stunden-Betreuung in Anspruch nehmen
- An- und Zugehörige dieser pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen
- 24-Stunden-Betreuer:innen
- Die Gesellschaft
Die Performance
In einem öffentlich zugänglichen Raum (BRUX Freies Theater Innsbruck) erhält der allegorische Patient einmalig eine 24-Stunden-Betreuung, nach dem Motto „24 h. wir bleiben wach“. Die Betreuung ist sehr umfassend: 24 Stunden Musik ist die Konstante. Die Musik ist nicht vorgefertigt, sie reagiert auf das Geschehen. Der Patient wird sich auf vielfältige Weise äußern. Er wird die Künstler:innen, die geladenen Gäste, die vorbeikommenden „Angehörigen“ sowie das interessierte Publikum dazu anregen, sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Der Patient und seine Stimmen
Der Patient spricht mit vielen Stimmen – einmal laut und fordernd, dann wieder sachlich, reflektierend und nachdenklich. Er meldet sich über Lautsprecher mit Originalaussagen von Menschen, die zu den oben genannten „Beteiligten“ gehören. 24-Stunden-Betreuer:innen erzählen von ihrer Arbeit und ihrem Leben. Betreute, An- und Zugehörige und andere Beteiligte nehmen Stellung. Diese Stimmen ertönen in unregelmäßigen Abständen, es ist nicht vorhersehbar, wann sich wer äußern wird (randomisierte Wiedergabe). Die Stimmen stammen aus Interviews mit den Beteiligten.
Die Musiker:innen
Zwei Improvisations-Duos versuchen, 24 Stunden lang die musikalische Betreuung aufrecht zu erhalten. Während eines der beiden Duos seine Ruhezeit in Anspruch nimmt, spielt das andere weiter. Es ist anzunehmen, dass die Musiker:innen trotz der Möglichkeit, einander abzulösen, vorübergehend aufgeben müssen.
Die „Angehörigen“
Angehörige sind wichtige Akteur:innen – nicht nur für die Betreuten, sondern auch für die Betreuer:innen. Sie leisten wichtige Unterstützung und sorgen zum Beispiel für Pausen und Erholungsphasen oder helfen mit, wenn die Betreuung schwierig oder anstrengend ist. Angehörige sind jedoch mitunter auch unberechenbar. Sie kommen und gehen. Sie haben Wünsche, stellen Ansprüche. In „24 h. wir bleiben wach“ erhalten die betreuenden Instrumental-Duos Unterstützung von „Angehörigen“, das sind Musiker:innen, die für eine begrenzte Zeit mitspielen. Mehrere Autor:innen treten unterstützend auf und setzen sich mit dem Thema literarisch auseinander, auch eine Performancekünstlerin wirkt mit.
Die „geladenen Gäste“
Expert:innen, die sich auf theoretischer oder praktischer Ebene mit Care-Themen auseinandersetzen, geben Impulse zum System der 24-Stunden-Betreuung in Österreich. Sie können dafür klassische (Vortrag …) oder kreative Formen wählen.
Das interessierte Publikum
24 Stunden lang hat das Publikum Gelegenheit, die Betreuung des fordernden Patienten mitzuerleben, ihn mit vielen Stimmen sprechen zu hören und wahrzunehmen, wie auf ihn reagiert wird. Das Publikum ist eingeladen, möglichst lange dabei zu sein und solidarisch wahrzunehmen, was es heißt, 24 Stunden in Bereitschaft zu sein.
Das Projekt wurde bei TKI open 21_ausbaden aus 42 Einreichungen gemeinsam mit sechs weiteren Projekten von der Jury ausgewählt und zur Förderung empfohlen. Durch die komprimierte Form und die unterschiedlichen Perspektiven will das Projekt eine Verdichtung des Themas sowie die Möglichkeit der physisch-psychisch-geistigen Auseinandersetzung (des „Ausbadens“) ermöglichen. Nach Abschluss der 24-Stunden-Performance werden hier Auszüge davon in einer Foto- und Videodokumentation veröffentlicht.
Mitwirkende
24-Stunden-Musiker:innen
Duo 1: Hannes Sprenger und Harry Triendl
Duo 2: Gunter Schneider und Christof Dienz
Detaillierte Beschreibung der 24-Stunden-Musiker:innen als pdf
„Angehörige“
Markus Köhle
Thomas Lackner
Carolina Schutti
Helmut Sprenger
Lia Sudermann
Klemens Klex Wolf
Stefan Wolf und Alex Goidinger (um 01:30 Uhr aufgrund einer Programmänderung)
Holzbläserquintett des Tiroler Kammerorchesters InnStrumenti:
Sarah Foidl
Stephanie Treichl
Werner Hangl
Viktor Praxmarer
Erhard Ploner
Improvisationsduo des Tiroler Kammerorchesters InnStrumenti:
Klaus Telfser
Chris Norz
Detaillierte Beschreibung der „Angehörigen“ und ihrer Beiträge als pdf
„Geladene Gäste“: Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen
Waltraud Bilgeri
Eva Fleischer
Anja Haider-Wallner
Teresa Hatzl
Barbara Kleissl
Christiane Kreyer
Flavia Matei
Ingrid Sitter
Klaus Wegleitner
Bernhard Weicht
Alexandra Weiss
Detaillierte Beschreibung der „Geladenen Gäste“ und ihrer Beiträge als pdf
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